Donnerstag, 12. Juli 2018

Ein Tag mit zwei verschiedenen Schuhen


Ich stand vor meinem Spiegel und probierte verschiedene Schuhe zu meinem Kleid. Irgendwie konnte ich mich nicht entscheiden. Da kam mir der Gedanke „Warum nicht einfach zwei verschiedene Schuhe anziehen?“ und schon war die Idee für eine Aufgabe für den Kunstkurs der 10/11 geboren. Da ich mich den Aufgaben auch gerne selbst stelle, war ich heute mit zwei verschiedenen Schuhen unterwegs. Leider ergab es sich nicht, dass ich nach der Arbeit auch noch einkaufen gegangen bin oder so, aber wir hatten heute die Verabschiedung der Abschlussklasse mit großem Programm und somit war schon was los in der Schule. Als ich mich im Vorfeld damit beschäftigte, merkte ich, dass ich mir Gedanken darübermache, ob ich dann zur Abschiedsfeier doch lieber zwei gleiche Schuhe anziehe… Da waren sie also, die Regeln, die Normen, an die auch ich mich anpasse. Aber was ist denn schon dabei? Ich schade doch niemandem, tue keinem weh oder stelle jemanden bloß, wenn ich zwei verschiedene Schuhe anhabe. Heute Morgen habe ich es dann einfach getan. Zur Sicherheit, falls es zu unangenehm würde, habe ich mir die Partnerschuhe mit eingepackt. Schließlich waren es ganz verschiedene Schuhe auch mit unterschiedlich hohem Absatz.
In der Schule angekommen, war es lustig, welche Fragen mich erwarteten. Da wir eine kleine Schule mit etwa 120 Schülerinnen und Schülern von Klasse 1 bis 11 sind, kennt jeder jeden und ist die Hemmschwelle sich anzusprechen sehr gering. Sofort kam: „Sie haben zwei verschiedene Schuhe an! Warum?“, „Haben Sie heute Morgen die Schuhe verwechselt?“, „Das ist stylisch!“ und immer wieder die Frage „Warum?“. Als ich darauf nicht antwortete, kamen Vermutungen: „Wollen Sie den Abschlussschülern vielleicht damit etwas sagen? Dass sie ihren eigenen Weg gehen sollen, mal was anderes ausprobieren, sie selbst sein sollen?“ Hm, nein, das hatte ich nicht vor, aber ein wunderbarer Gedanke und so schön passend! Die Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen waren auch spannend. Eine sagte „Das würde ich mich nie trauen!“, die nächste erzählte, dass ihre Oma, nun fast 90, auch immer so gerne mal zwei verschiedenen Schuhe anziehen würde, es sich aber nicht traut. Warum nicht? Was ist daran schlimm? Okay, mit fast 90 würde man dann wohl denken, sie würde nun tattrig und hätte es unabsichtlich getan. Sie hätte es vielleicht einfach schon mal früher machen sollen. Andere sagten gar nichts dazu, reagierten auch in keinster Weise. Empfand ich auch nicht schlimm.
Nach 7 Stunden mit zwei verschiedenen Schuhen war ich wieder zu Hause und froh, auf Socken laufen zu dürfen. Ich merkte die verschiedenen Absatzhöhen und Schuhformen deutlich.
Erschreckt hat mich, dass ich so schnell an meine Grenzen kam und mir doch sehr Gedanken darüber gemacht habe, was die Menschen von mir denken werden. Erfreut und auch etwas erschreckt haben mich die Gespräche, die sich daraus ergaben. Warum trauen sich so viele nicht einfach das zu tun, wonach ihnen ist? Ist anders sein so schlimm? Ist Ungewöhnliches so seltsam, dass man davor Angst haben sollte? Haben wir so schnell Angst, ausgegrenzt zu werden? Bin ich so, wie ich bin, nicht toll?
Fragen über Fragen.


Ich bin sehr, sehr gespannt, was sich meine Kunst-Schülerinnen und Schüler überlegen und wie unsere Gespräche danach werden.
  PS: Das ist die Ferienaufgabe für meinen Kunstkurs:




Überlegt euch etwas, was man normalerweise nicht tut oder anders macht und brecht diese „Norm“ dann bewusst. (Dabei soll niemandem geschadet werden!)
·         Fotografiere die Aktion.
·         Was hast du getan, was man normalerweise nicht oder anders tut?
·         Warum gibt es wohl diese „Norm“?
·         Wie hat es sich für dich angefühlt?
·         Wie haben die Menschen, die das mitbekommen haben, reagiert?
·         Was hat dich überrascht?

Anregungen:
·         Kleidung auf links tragen
·         Männer in Frauenkleidung
·         Nachthemd am Tag
·         Als Mann/ Junge mit Puppen spielen in der Öffentlichkeit
·         Jungs mit Nagellack
·         Auf dem Bürgersteig picknicken
·         Besteck verkehrt herum benutzen
·         Laut und überschwänglich lachen
·         Laut Lieder pfeifen
·         Laut singend Fahrrad fahren
·         Im Schneeanzug Inliner fahren
·         Einfach in der Öffentlichkeit tanzen
·         Moonboots im Sommer tragen
·         Mit einer Clownsnase rumlaufen
·         Mit einer Schwimmbrille rumlaufen
o   Mit Schwimmbrille, Schnorchel und Schwimmflossen in ein Edelrestaurant gehen
·         Im Unterricht stehen statt sitzen
·         Mit Unterhose auf dem Kopf rum laufen
·         Poolnudel als Schal nutzen
·         Schwimmflügel/ Schwimmring tragen
·         In der Fußgängerzone einfach auf Menschen zugehen, ihnen die Hand geben und sich vorstellen
·         Menschen näher kommen als gewöhnlich, also den „normalen“ Abstand, den man sonst einhält, verkleinern
·         Wörter verdrehen, also „Guten Abend“ statt „Guten Morgen“, „Danke“ statt „Bitte“ sagen oder „Der Himmel ist grün.“
·         Rückwärts gehen/ in den Bus einsteigen
·         Fremden Menschen etwas schenken (Blumen, Komplimente,…)
·         Zum Bäcker gehen und nach Geranien fragen
·         In ein Geschäft (Autohaus z.B.) gehen und die Verkäuferin/ den Verkäufer fragen „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“
·         Pferdeschwanz nach vorne, nicht nach hinten tragen
·         komplett schwarz gekleidet, inklusive schwarzen Lippenstift und schwarz geschminkte Augen/ sehr auffällig geschminkt ( nicht an Karneval) sein mit Schnörkeln am Auge oder so
·         zwei Scheiben Fleischkäse und dazwischen ein Brot. Ohne Butter! Essen bzw. bestellen
·         an der Kasse nicht in der Schlange anstehen, sondern einfach nach vorne gehen und sagen „Weil ich meine Sachen bezahlen muss!“

NICHT MACHEN:
- Mit Motorradhelm in eine Bank gehen
- Nichts mit Nacktheit und Obszönem (wir wollen es veröffentlichen)

* * *

2 Kommentare:

Ines hat gesagt…

Liebe Steffie,

ich hätte nicht gedacht, dass zwei verschiedene Schuhe soviel auslösen können.
Die Dinge mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten kann, in meinen Augen, nie falsch sein. Eine sehr coole Aufgabe für die Schüler. Ich hätte mir so eine Lehrerin wie Dich gewünscht!

GLG Ines♥

Steffie hat gesagt…

Danke, liebe Ines, für deine Worte.
Ganz ehrlich? Ich hätte das auch nicht gedacht! Schon alleine, was es mit MIR macht, fand ich total spannend.

Ganz liebe Grüße zurück!
Steffie